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Bericht der ukrainischen WIKO-Schülerin Nastya

Ich heiße Anastasiia Prymachenko und bin 14 Jahre alt. Ich komme aus Poltava, das liegt zwischen Kiew und Charkiw. Seit einigen Monaten lebe ich in Herne und besuche das Pestalozzi-Gymnasium. In der Ukraine habe ich vier Jahre Unterricht in Journalistik erhalten und freue mich nun, meinen Artikel hier zu veröffentlichen.

Evakuierung.

— Nastya, ich warte zu Hause auf dich, wir fahren zum Bahnhof… —

Einfach so, mit dem üblichen Ruf einer Mutter, begann ein neuer Teil meines Lebens.

Ich kaufte schnell Kekse und Nüsse im Supermarkt und rannte nach Hause, hatte nicht einmal Zeit, mich an den üblichen Weg zu erinnern.

Mein Haus wurde für mich durch den Luftalarm in Erinnerung gerufen. Innerhalb von 30 Minuten packten meine Eltern alle wichtigen Dokumente und Dinge zusammen, meine Schwester, meine Großmutter und ich versteckten uns in dieser Zeit im Badezimmer, da es das einzige ohne Fenster war und es uns somit am sichersten erschien. Vor ein paar Stunden gab ich selbst noch Kleidung und Shampoo an Flüchtlinge aus Charkiw aus und ich konnte nicht glauben, dass nun auch ich mein Haus verlassen und meinen Vater, meine Großmutter, meinen Großvater und eine weiße Katze zurücklassen würde, die mich sonst zu Hause immer tröstete.

Bei uns am Bahnhof in Poltava gab es eine unglaubliche Anzahl von Menschen aus Charkiw, die ihr Zuhause verlassen hatten. Ihr Zuhause verlassen. Genau wie wir. Irgendwann werden einige dorthin zurückkehren, andere werden es wohl nie wieder sehen.

Nach sechs Stunden Wartezeit konnten ich, meine Mutter und meine kleine Schwester in einen Zug steigen. Fünf weitere Bürger von Charkiw reisten mit uns. Es waren ziemlich unbequeme Reisebedingungen, aber egal wie schrecklich und unkomfortabel es auch erschien, zwei Tage später konnten die Menschen, laut der Geschichte eines Freundes, nur noch auf Stehplätze im Vorraum zusteigen und in jedem Abteil befanden sich ungefähr 16 Personen.

Unser Zug fuhr durch Kiew und nur wenige Kilometer entfernt gab es mehrere Schießereien und Raketenangriffe. Wir, die wir sowas noch nie zuvor gesehen hatten und die große Anzahl von Flüchtlingen, die diesen Horror bereits gesehen hatte, gerieten in große Panik. Aber die Arbeiter unserer Eisenbahn waren wirklich toll, weil sie ganz ruhig blieben und uns jedes Mal während des Luftalarms klare Anweisungen gaben.

Der Bahnhof in Lemberg, das ist der deutsche Name für Lwiw, wird für mich immer in Erinnerung bleiben. Es war die größte Schlange , die ich je in meinem Leben gesehen habe. Sie begann an der Straße und endete an einem unbekannten Ort. Alle warteten auf einen Zug nach Polen. Die Leute wurden ständig krank oder fielen in Ohnmacht, viele hielten sich nicht an die Warteschlange, einige standen länger als einen Tag dort, bestenfalls saßen sie auf Taschen oder Koffern. Die Schlange zu verlassen, um z. B. zur Toilette zu gehen, war eigentlich nicht möglich. Alle wollten in einen Zug – jetzt, in fünf Stunden, zehn, morgen, übermorgen. Hauptsache weg. Wenn es zu diesem Zeitpunkt einen Luftalarm gegeben hätte, hätten sich wahrscheinlich nur wenige Menschen entschieden, hier zu stehen und einen sicherern Ort aufzusuchen. In der Warteschlange riefen die Leute Ärzte an. Wenn jemand krank wurde, halfen Freiwillige so viel sie konnten, insbesondere Familien mit Babys brachten sie mehrmals Essen und Wasser.

Aber schließlich sind diese schrecklichen Stunden des Wartens auf den Zug am Bahnhof in Lemberg vorbei, also hatten wir die Möglichkeit, nach Polen zu fahren. Wir bekamen tatsächlich die letzten Sitzplätze, aber nach uns stiegen noch einige Leute ein und setzten sich auf den Boden. Die letzten, die einstiegen, hatten nur noch die Möglichkeit, dicht aneinander gedrängt zu stehen.

Die Zugfahrt von Lemberg in die polnische Stadt Przemysl dauerte mehr als 20 Stunden statt der üblichen drei bis vier Stunden. Mitten auf der Straße, in der Region Lemberg, wurden wir für mehr als 12 Stunden in der Mitte des Feldes angehalten. Zu dieser Zeit geschahen viele traurige Geschichten. Die Katze eines Mitfahrenden verstarb, eine Frau im Zug drehte durch, uns allen fehlte Wasser und etwas zu essen,  aber zu dieser Zeit war es für alle das Wichtigste, nach Polen zu kommen, und wir wollten es schaffen! Obwohl sich von den Mitfahrenden vorher  niemand kannte, halfen sich die Leute ständig gegenseitig, versuchten eine falsche Evakuierung durchzuführen, um die kranke Frau herauszuholen, brachten sich gegenseitig Essen, und halfen sich mit mobilen Daten fürs Internet aus und taten alles, um diese Stunden ein wenig einfacher zu gestalten.

In Polen und Deutschland halfen uns Freiwillige und Einwohner und sie tun weiterhin Gutes mit allem, was sie können.

Aber diese Abenteuer, die ich während des Grenzübertritts erlebt habe, können nicht mit dem verglichen werden, was jetzt auf dem Territorium meines Landes, meiner Stadt, Region passiert. Ich will und werde helfen.

Neues Leben. Neue Schule.

Es beginnt damit, dass es einen Krieg in meinem Land gibt und ich aus meiner Stadt geflohen bin.

Ich komme aus der Ukraine und bin dort 8 Jahre zur Schule gegangen, aber jetzt gehe seit einem ungefähr einem halben Jahr auf die deutsche Schule und kann viele Dinge feststellen, die am Anfang sehr seltsam für mich waren.

Heute möchte ich die Dinge betrachten, die für mich in der Ukraine normal und gewöhnlich waren, wie die Tatsache, dass die Sommerferien drei Monate dauertenn, 1 die schlechteste Note ist und Lehrerinnen und Lehrer bei ihrem Vornamen und dem des Vaters gerufen werden.

Es ist schwer, mich an die Zeiten zu erinnern, in denen es ein großes Problem war, eine 1 oder eine 2 für einen Mathe-Test zu bekommen, besonders wenn wir uns jetzt jeden Tag Sorgen um das Leben von Menschen machen.

In der Ukraine ist, wie gesagt, die schlechteste Note in der Schule 1, und die beste ist 12 Punkte. Hier in Deutschland bekommt jeder nur seine eigene Note rückgemeldet, in der Ukraine liest die Lehrkraft die Liste mit den Noten aller Schülerinnen und Schüler laut vor. Das konnte manchmal sehr unangenehm sein.

Was ist dein Lieblingsfach in der Schule?

Wenn du Französisch, Spanisch, Latein, Religion oder Politik sagst, wirst du in der ukrainischen Schule keinen solchen Unterricht finden, aber dafür haben wir ukrainische Literatur und Weltliteratur, ukrainische Geschichte und Weltgeschichte, Pflichtunterricht in Geographie, Informatik, Biologie, Gesundheit, Recht und manchmal sogar Wirtschaft und Psychologie, manchmal auch Deutsch. Aber ich habe Deutsch leider erst hier gelernt.

Aber man muss auch sagen, dass es in der ukrainischen Schule immer mehr Veränderungen gibt, die der deutschen Schule ähneln. Zum Beispiel hatten wir früher eine obligatorische Schuluniform: ein schwarzes Unterteil (Hose, Rock) und ein weißes Oberteil (Hemd, Bluse), und jetzt, wie in Deutschland, können die Kinder selbst wählen, was sie anziehen möchten. Das gefällt mir persönlich auch viel besser.

Wir waren alle Kinder, die meisten von uns sind jetzt Teenager und jeder von uns hat seine Freizeit auf unterschiedliche Weise verbracht. Manchmal ist es sehr schwierig, sich an die Vergangenheit zu erinnern, wie zum Beispiel an die Sommerferien, die normalerweise bis zu 3 Monaten dauerten und in denen es notwendig war, eine ganze Liste von Büchern für das neue Schuljahr zu lesen. Im Herbst und Frühling gab es eine Woche Ferien. Meine Lieblingsferien waren aber immer die Winterferien, die zwei Wochen dauerten und die mir immer magisch vorkamen.

Was machst du während einer Schulpause? In Erinnerung an die ukrainische Schule kann ich sagen, dass die meisten Schüler nur auf ihr Smartphone guckend in ihrem Klassenzimmer saßen, was im Vergleich zur deutschen Schule seltsam erscheint, weil hier der Smartphone-Gebrauch in der Pause nicht erlaubt ist. Wie in Deutschland begann der Unterricht um 8:00 Uhr. Aber in der Ukraine gab es nach jeder Stunde eine Pause von 5 bis 20 Minuten. Die Schule hatte normalerweise sieben Unterrichtsstunden pro Tag und manchmal sogar acht Stunden, die normalerweise um 14:35 Uhr oder 15:25 Uhr endeten.

Lernen, jeden Tag im Keller zu sitzen und den Luftalarm zu hören, sich Sorgen um das Leben zu machen, ist aktuell die moderne Realität einer großen Anzahl von Kindern in der Ukraine, denn was vorher wichtig war, wie zum Beispiel die Menge an Hausaufgaben, Pausen, Noten ist es jetzt nicht mehr und ich bin sehr dankbar, mich nun in Sicherheit zu befinden. Aber gleichzeitig ist es eine sehr schwierige Situation und die Menschen aus der Ukraine brauchen sehr viel Unterstützung, weil jeder von uns mehr als eine Geschichte aus den letzten Monaten zu erzählen hat.

Ich möchte sagen, dass das Lernen in einer neuen Atmosphäre die Idee der Schule in der Ukraine völlig verändert. Ich kann und will aber nicht sagen, wo es besser ist, denn jede Schule, auch jeder Moment in der Schule, hat seine eigene besondere Atmosphäre, der geschätzt und in Erinnerung bleiben muss.

Nastya (Anastasiia Prymachenko)

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